28.08. – 03.09. “creative week”Thema: “postcolonial city” (english version down below) Vom 28.08.-03.09. findet bei uns unsere erste “creative week” mit dem Thema “postcolonial city” statt. Für eine Woche finden im Stadtlabor täglich tolle Workshops,… Read More »Creative Week im Stadtlabor
Kurz nach dem Aufstellen dieser Tafel am Wissmann-Denkmal in Bad Lauterberg im Frühjahr 2021 entstand als Reaktion aus Göttingen der Text „Nicht kritisch genug!“. Ursprünglich als Leserbrief angedacht, waren die Versuche, diesen Text in einer lokalen Zeitung unterzubringen, jedoch leider erfolglos. Unsere Anfragen an Redaktionen und Journalist:innen blieben gänzlich unbeantwortet. Erst nach mehrmaligem Nachhaken hieß es, er sei zu lang, nicht auf einen konkreten Zeitungsartikel bezogen und vielleicht berührt er auch zu sehr aktuell umkämpfte Themen, zu denen sich einige eher einen Schlussstrich anstatt offene Diskussion wünschen. Schade, dass die Medien hier so verschlossen sind. Wir hoffen, dass der Brief dennoch zum öffentlichen Nachlesen, Mitdenken und Mitdiskutieren anregt!
Hermann von Wissmann ist im Stadtbild Bad Lauterbergs stark präsent. Neben der nach ihm benannten Straße ist es vor allem das Denkmal im Kurpark, das als Relikt aus einer Zeit, in der man seine Taten feierte, die öffentliche Wahrnehmung prägt. Eine neue Informationstafel am Denkmal soll nun dazu beitragen, seine Handlungen kritisch zu beleuchten. Doch ist dies ausreichend?
Der Text auf der Informationstafel betont, dass Wissmanns Forschungspraxis höchst gewaltsam war, sein Kampf gegen den Sklavenhandel maßgeblich kolonialen Interessen und Expansion diente und seine militärischen Einsätze unzählige, vor allem afrikanische Opfer forderten. Zugleich wird Wissmann jedoch nach wie vor als Forscher beschrieben, der nicht nur „ausbeutbare Diamanten-, Eisen- und Kupferlager“, sondern auch „unbekannte Volksstämme entdeckte und […] ‚weiße‘ Flecken auf den Landkarten Afrikas [beseitigte]“. Die Metaphorik des Entdeckers setzt die Heroisierung seiner Person fort und verharmlost seine invasiven Handlungen als vermeintlich wissenschaftliche Tätigkeit. Erst nach der Aufzählung seiner wissenschaftlichen-kulturellen Leistungen werden die militärischen Aktionen, wie beispielsweise der sogenannte „Araberaufstand“ angesprochen, den Wissmann brutal niederschlagen ließ: Seine „Strategie der verbrannten Erde war brutal aber extrem erfolgreich […]“ heißt es hier affirmativ. Die unkritische Sprache zementiert eine Sicht auf die Geschichte, die koloniale Gewalttaten legitimiert und verherrlicht. Für eine kritische Auseinandersetzung wären außerdem klare, einordnende Überschriften und eine sensible, zeitgemäße Sprache nötig. So wird etwa das „Mitbringen“ von sogenannten [„Kammerm****n“] – zwei afrikanischer Jungen – als „in der damaligen Zeit standesüblich“ gerechtfertigt. Gegen Ende der Texttafel argumentiert der Autor zudem gegen das Entfernen von Statuen und Umbenennen von Straßen: „Nicht nur die Vergangenheit war blutig, grausam und voller Unterdrückung. Wir ändern die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aber nicht, indem wir alte historische Denkmäler und Namen von Infrastruktur Bauten [sic!] einfach wegradieren.“ Damit werden nicht nur die zahlreichen Straßenumbenennungen wie etwa aktuell in Berlin ignoriert, sondern auch die bereits 1968 in Hamburg vollzogene Demontierung des Wissmann-Denkmals. Die Erläuterungen auf der Informationstafel überführen eine kontroverse Debatte über den Umgang mit kolonialen Spuren im öffentlichen Raum in einen scheinbaren Schlusspunkt. Die Tafel verhindert so eher eine kritische Auseinandersetzung, anstatt sie zu eröffnen. Es ist äußerst bedauerlich, dass die Tafel weder die langjährigen Auseinandersetzungen und Protestaktionen, noch das Wissen lokaler aktivistischer Gruppen aufnimmt.
Zur Bad Lauterberger Erinnerungskultur um Wissmann gehören weiterhin eine verherrlichende Tafel auf dem Friedhof, ein Straßenname, eine Gedenktafel am sogenannten „Heimathaus“ seiner Mutter und ein Ausstellungsbereich im Heimatmuseum. Überraschend ist diese Vielzahl vor allem vor dem Hintergrund, dass Wissmann in Bad Lauterberg lediglich zu Besuch bei seiner Mutter und Schwester verweilte. Die zahlreichen Gedenkstätten im Stadtraum lassen sich aber nicht nur leicht durch rechte und rassistische Propaganda vereinnahmen, sondern sind selbst bereits Ergebnis einer kolonialrevisionistischen und nationalistischen Erinnerungskultur. Angesichts des Wissens um die brutale Kriegsführung Wissmanns sowie die gesellschaftlichen Folgen, die sein ehrendes Andenken anhand zahlreicher Monumente und Erwähnungen hervorruft, reicht eine solche Informationstafel nicht aus. Vielmehr muss die Erinnerungskultur selbst öffentlich diskutiert werden. Wir fordern dazu auf, Alternativen zum Denkmal zu finden (etwa als Mahnmal, Informationszentrum oder Ausstellung), die Straße umzubenennen und weitere öffentliche Gedenktafeln kritisch zu überarbeiten!