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Stadthalle

https://static.akpool.de/images/cards/261/2615917.jpg und Göttinger Tageblatt, 03.05.2013

Der Albaniplatz, sah zu Beginn des 20. Jahrhundert so wie auf dieser Ansicht aus. Anstelle der Stadthalle war dort der so genannte Stadtpark. Auf dem Foto könnt ihr diese Anlage mit den vielen kleinen Türmen sehen. Damals wurde dieser Ort – ähnlich der heutigen Stadthalle – für Zusammenkünfte und Veranstaltungen genutzt. Doch was hat das mit Kolonialismus zu tun?

Hier im Stadtpark traf sich die Göttinger Abteilung des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft. 1907 als „Deutschkolonialer Frauenbund“ gegründet, schloss sich der Frauenbund 1908 an die Deutsche Kolonialgesellschaft an, die damals größte Interessenvertretung Kolonialbegeisterter im deutschen Kaiserreich. In Göttingen wuchs die Zahl der Mitglieder des Frauenbundes innerhalb von 10 Jahren auf stattliche 200 an, die meisten von ihnen gehörten zum bürgerlichen Milieu. In seiner auflagenstarken Zeitschrift „Kolonie und Heimat“ legte der Frauenbund seine Ziele dar:

„Die Aufgabe des Frauenbundes ist […] in unseren Kolonien deutschem Familiengeist und deutscher Art und Sitte eine sichere Pflanz- und Pflegestätte zu bereiten und zu erhalten. Zu diesem Zwecke will er:

  1. Die Frauen aller Stände für die kolonialen Fragen interessieren.
  2. Deutsche Frauen und Mädchen, die sich in den Kolonien niederlassen wollen, mit Rat und Tat
    unterstützen und die Fraueneinwanderung in die Kolonie anregen.
  3. Die Erziehung der weißen Kinder in den Kolonien fördern.
  4. Frauen und Kindern in den Kolonien, die schuldlos in Not geraten sind, beistehen.
  5. Den wirtschaftlichen und geistigen Zusammenhang der Frauen in den Kolonien mit der Heimat erhalten und stärken.“
    (Quelle: „Kolonie und Heimat“, Jg. VI, Nr. 17, S. 9.)

Dass Frauen am Kolonialismus teilhatten, wurde in der Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte lange übersehen. Koloniale Machtausübung wurde bis vor einigen Jahren als eine fast ausschließlich männliche Angelegenheit angesehen. Nichtsdestoweniger bestimmte es die gesellschaftliche Ordnung der Zeit, dass Frauen vor allem im Bereich Ehe und Kinder in der Kolonialgeschichte mitmischen konnten. Das war jedoch nicht so harmlos, wie es zunächst klingt, sondern ein zutiefst rassistisches Anliegen. Die Gründung des Frauenbundes fiel dabei nicht zufällig in die letzten Kriegsjahre mit den Herero und Nama.

Bereits in den Jahren vor dem Krieg war in der deutschen Öffentlichkeit die Sorge erstarkt, weiße Männer würden zu viele Schwarze Frauen ehelichen und zu viele bi-ethnische Kinder zeugen. Der Krieg führte zu einem starken Anstieg weißer unverheirateter und männlicher Soldaten im Lande und verschärfte die Diskussion. Viele Zeitgenossen verstanden den Krieg zudem als Rassenkrieg und stigmatisierten damit bi-ethnische Beziehungen noch einmal mehr. Unverheiratete weiße Frauen, die in die Kolonie auswanderten, sollten Abhilfe schaffen – die Kernaufgabe des Frauenbundes war geboren.

Es handelte sich also eine bevölkerungspolitische Vereinigung, deren Eintritt in das politische Geschehen durch die Debatte um „Rassenmischung“ möglich war. Der Frauenbund gehörte zu den gesellschaftlichen Verbänden, die den Kolonialismus eng mit rassistischem Gedankengut verknüpften und die gerade im beginnenden 20. Jahrhundert an gesellschaftlicher Macht und Einfluss gewonnen hatten.

Der Frauenbund in Göttingen

Der Frauenbund übernahm die Anwerbung, Auswahl und Vorbereitung der Reisenden in die Kolonien. Für junge, alleinstehende Frauen gab es in Vorbereitung auf das Ehe- und Familienleben offene Stellen als Farmerin oder Hausfrau zu besetzen. Insbesondere für Frauen aus ärmeren Schichten kam die Auswanderung einem sozialen Aufstieg gleich. Insgesamt reisten mit dem Frauenbund etwas mehr als 500 Frauen nach Deutsch-Südwestafrika aus und siedelten sich dort an.

Die Göttinger Abteilung wirkte entscheidend an dieser Arbeit mit. Zu den Hauptaktivitäten gehörten Versammlungen, Vorträge über die Kolonien sowie Spendensammlungen. Im ersten Weltkrieg schickten die Frauen auch Männerkleidung und Zigarren in die Kolonien und reihten sich damit in die Unterstützung des Krieges ein, der zwar zwischen den europäischen Kolonialmächten, jedoch von diesen auch in den Kolonien selbst ausgetragen wurde. 1909 veranstaltete der Frauenbund im „Englischen Hof“ in der Jüdenstraße außerdem eine Kolonialausstellung. Zu sehen waren Waffen, Schmuck, Puppen, ausgestopfte Tiere, Muscheln und die Nachbildung eines Pfahlbaus aus Neu-Guinea. Ebenfalls wurden Theaterstücke und „Eingeborenentänze“ (so rassistisch beschrieb es das Göttinger Tageblatt: mehr zur Reproduktion des Begriffs weiter unten) dargeboten. Diese „Romantisierung“ der Kolonialgebiete manifestierte rassistische Stereotype: Weiße Menschen wurden als überlegen dargestellt und Rassismus durch die Herabsetzung der kolonialisierten Bevölkerung als ‚normal‘ etabliert.

Das Hotel “Englischer Hof” in der Jüdenstraße 35
Bildquelle: Städtisches Museum Göttingen

Abgesehen von der rassistischen Darstellung des Lebens in den Kolonien trug die Ausstellung konkret zur deutschen Kolonialherrschaft in „Deutsch-Südwestafrika“ bei: Der Großteil des Gewinns wurde an ein Frauenhaus in Keetmanshoop gespendet, das die deutschen ausreisenden Frauen bei ihrer Ankunft in den Kolonien zunächst für einige Wochen in Empfang nahm und auf ihr neues Leben vorbereitete.

Für viele Frauen stellte sich die Ausreise in die Kolonien als abenteuerliche Perspektive dar. Zahlreiche europäische Schriftstellerinnen der 1910er und 1920er Jahre beschrieben Afrika als geheimnisvollen Kontinent, auf dem Frauen dem tristen Leben in Europa entfliehen konnten, so etwa die Baronin Adda von Liliencron, die erste Vorsitzende des deutschen Frauenbundes.

Diese Geschichten und Bilder, die damals vermittelt wurden, hatten bis weit über die deutsche Kolonialherrschaft Bestand. Ein Beispiel dafür ist die preisgekrönte Verfilmung „Jenseits von Afrika“ aus dem Jahr 1985, die auf der kolonialzeitlichen Geschichte „Dunkel lockend Afrika“ (1937) der Dänin Karen Blixen (Pseudonym: Tania Blixen) beruht.

Wann bist Du in Filmen, Geschichte, Werbung usw. in letzter Zeit auf Darstellungen vom Kontinent Afrika gestoßen? Welches Bild wurde Dir dort vermittelt? Fandest Du hieran etwas veränderungsbedürftig und was braucht es deiner Meinung nach, um diese Bilder zu verändern?

Und: Oben tauchte der Begriff “Eingeborenentänze“ auf. Wir haben lange überlegt, ob wir das in Anführungsstrichen gesetzte Wort zitieren oder nicht. Einerseits möchten wir auf jeden Fall vermeiden, Rassismus durch die Nutzung bestimmter Ausdrücke zu reproduzieren. Anderererseits handelt es sich um einen Begriff, bei dem vielleicht nicht jeder Person klar ist, dass er rassistisch und abwertend ist. Deswegen haben wir ihn genannt und gleichzeitig bewertet. Wir sind jedoch auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Stadtrundgangs noch hin- und hergerissen und möchten die Frage hiermit zur Diskussion stellen. Wie siehst Du das? Du kannst uns Deine Meinung in einer Sprachnotiz oder einem Kommentar mitteilen, den Du uns per Mail an goettingen-postkonial@riseup.net schicken kannst. Wir behalten uns vor, die Frage, u.a. mithilfe deiner und anderer Reaktionen, erneut einzuschätzen und anschließend ggf. Formulierungsänderungen vorzunehmen.

Quellen:

  • Burchard, Sophie: „Die Konstruktion eines rassifizierten weißen Weiblichkeitsideals in der Zeitschrift des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft: Kolonie und Heimat. Deutsche Kolonialgeschichte in ‘Deutsch-Südwestafrika’ im Kontext von Geschlecht, ‘Rasse’ und Sexualität.“ Diplomarbeit, Universität Wien 2014.
  • 10 Jahre Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft : [Festschrift zum 11. Juni 1918] / hrsg. vom Ausschuß des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (unter Protektorat S. Hoheit des Herzogs Johann Albrecht zu Mecklenburg). Berlin : “Kolonie u. Heimat”, Verl.-Ges. m. b. H., 1918.
  • Habermas, Rebekka u.a. (2019): Universität und Kolonialismus – Das Beispiel Göttingen.
    https://goettingenkolonial.uni-goettingen.de/index.php/home2/goettingen
    https://goettingenkolonial.uni-goettingen.de/index.php/home2/das-deutsche-kaiserreich
  • Wildenthal, Lora: German Women for Empire, 1884-1945, Durham 2001.
  • Walgenbach, Katharina: „Die weiße Frau als Trägerin deutscher Kultur“. Koloniale Diskurse über Geschlecht, „Rasse“ und Klasse im Kaiserreich, Frankfurt (Main) 2005.
  • Smidt, Karen: „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“. Auswanderung, Leben und soziale Konflikte deutscher Frauen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika 1884-1920. Eine sozial- und frauengeschichtliche Studie, Magdeburg 1997.
  • Mamozai, Martha: Schwarze Frau, weiße Herrin. Frauenleben in den deutschen Kolonien, Hamburg 1989.

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